Wil­ly, Rosa und Horst Haupt­mann: Un­glück ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie in Bie­le­feld

Porträt von Host Hauptmann, ca. 1939.
Portrait von Host Hauptmann, ca. 1939. Privatarchiv Marianne Karmon.
Meldekarte von Willy Hauptmann
Meldekarte von Willy Hauptmann. Stadtarchiv Bielefeld Bestand 104.003/Meldekarten Nr. 18.
Foto der Niedernstraße, links das Wohnhaus Nr. 26. Stadtarchiv Bielefeld Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 11-1523-064
Werbeanzeige des Spielwarengeschäfts Fritz Moster, 1939. Vor der „Arisierung“ gehörte das Geschäft der Heumann KG, in der Willy Hauptmann Teilhaber war.
Werbeanzeige des Spielwarengeschäfts Fritz Moster, 1939. Vor der „Arisierung“ gehörte das Geschäft der Heumann KG, in der Willy Hauptmann Teilhaber war. Aus: Unsere Fahne 12, Jg. 6 (1939).
Zeichnung der Hofseite des Hauses Niedernstraße 26 (1927)
Zeichnung der Hofseite des Hauses Niedernstraße 26 aus dem Jahr 1927 – hier hatten die Hauptmanns seit 1906 gelebt. Stadtarchiv Bielefeld Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 11-1523-71
5. No­vem­ber 1938
Nie­dern­stra­ße 26, 33602 Bie­le­feld

Am 5. No­vem­ber 1938 muss­te die Fa­mi­lie Haupt­mann ihr Ge­schäft end­gül­tig auf­ge­ben. Da war der Va­ter ge­ra­de ein­mal fünf Tage ver­stor­ben.

Wil­ly Haupt­mann wur­de am 1. Juli 1871 in Mi­litsch in Nie­der­schle­si­en ge­bo­ren. Mit sei­ner Frau Rosa, ge­bo­re­ne Stein, die aus West­preu­ßen stamm­te, ka­men sie im Jahr 1906 von Hal­le an der Saa­le nach Bie­le­feld, wo Wil­ly ei­nen La­den be­trieb. 1919 wur­de ihr ein­zi­ges Kind Horst ge­bo­ren. Of­fen­bar war Wil­ly Haupt­mann be­reits vor sei­ner Bie­le­fel­der Zeit als Kauf­mann und Händ­ler er­folg­reich ge­we­sen, kauf­te er doch ein Grund­stück mit Haus in der Nie­dern­stra­ße 26, wo er im Fol­gen­den ein Ge­schäft für Haus­halts- und Spiel­wa­ren be­trieb.

Doch wur­de Deutsch­land in den Zwan­zi­ger­jah­ren von meh­re­ren Wirt­schafts­kri­sen er­schüt­tert – so muss­te denn auch Wil­ly sein Ge­schäft im Au­gust 1929 (dem Jahr der Welt­wirt­schafts­kri­se und des New Yor­ker Bör­sen­crashs) auf­ge­ben. Es ge­lang ihm im­mer­hin noch, sei­nen La­den zu ver­äu­ßern: Wil­ly Haupt­mann war nun Kom­man­di­tist (Teil­ha­ber) des Haus­halts- und Kü­chen­gü­ter so­wie Spiel­wa­ren­ge­schäfts. Das heißt, ihm ge­hör­ten wei­ter­hin Grund­stück und La­den, er war an der neu­en Fir­ma „Heu­mann KG“, al­ler­dings nur mit drei­ßig Pro­zent be­tei­ligt – Ge­schäfts­füh­rer war Jo­sef Heu­mann. Wil­ly Haupt­mann starb am 1. No­vem­ber 1938 im Al­ter von 67 Jah­ren. Nach Wil­lys Tod erb­te sei­ne Frau Rosa den An­teil am Ge­schäft. Die Fir­ma muss­te al­ler­dings be­reits we­ni­ge Tage spä­ter am 5. No­vem­ber den Be­trieb ein­stel­len. Die Fir­ma wur­de “ari­siert” und nur we­ni­ge Tage spä­ter am 18. No­vem­ber 1938ging in den Be­sitz von Fritz Mos­ter aus Bie­le­feld über.

Das Un­glück hat­te die Fa­mi­lie also gleich dop­pelt be­trof­fen: Rosa und ihr Sohn Horst hoff­ten fort­an, Deutsch­land noch ver­las­sen zu kön­nen und schmie­de­ten Plä­ne, nach Aus­tra­li­en aus­zu­wan­dern. Wäh­rend Horst es im­mer­hin schaff­te, im Au­gust 1939, also un­mit­tel­bar vor Kriegs­be­ginn, in die Nie­der­lan­de zu emi­grie­ren, muss­te Rosa der­weil aus je­nem Haus aus­zie­hen, in dem sie seit 1906 un­un­ter­bro­chen ge­wohnt hat­te. Man schaff­te sie im April 1941 in das „Ju­den­haus“ Obern­tor­wall 2. Un­klar ist, wo sich Horst zu die­ser Zeit be­fand. Nach der Er­obe­rung der Nie­der­lan­de im Jahr 1940 ist er dort ver­haf­tet und 1942 in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ausch­witz ver­schleppt wor­den. Rosa wur­de zu­sam­men mit den an­de­ren Bie­le­fel­der Jü­din­nen und Ju­den im De­zem­ber 1941 in das Ghet­to von Riga de­por­tiert. Un­ter die­sen Ju­den be­fan­den sich Ro­sas Ge­schwis­ter: Min­na, Ja­cob, Lou­is, Her­mann und Ernst Stein, Mar­tha Sil­ber­stein und Bet­ty (Ber­tha) Ro­sen­thal. Sohn und Mut­ter dürf­ten ein­an­der dort al­ler­dings noch ein­mal be­geg­net sein, denn auch Horst wur­de 1942 oder 1943 von Ausch­witz nach Riga ver­bracht. Bei­de sind von Mit­glie­dern der Bie­le­fel­der jü­di­schen Ge­mein­de dort ge­se­hen wor­den. Horst wur­de al­ler­dings be­reits am 31. Ok­to­ber 1943 im Ri­ga­er Ghet­to um­ge­bracht. Auch Rosa hat, ob­wohl ein ge­nau­es To­des­da­tum nicht vor­liegt, den Krieg nicht über­lebt und ist nie wie­der nach Bie­le­feld zu­rück­ge­kehrt. Eben­so über­leb­ten ihre Ge­schwis­ter Riga nicht. Ein­zig ihre Nich­te Inge Frie­de­mann über­leb­te und stell­te An­trä­ge auf Wie­der­gut­ma­chung für die Ge­schwis­ter Stein, dar­un­ter auch ein An­trag für Rosa Haupt­mann.

Spur aufgenommen und Recherche
Da­vid He­cken (Erstversion (pdf))
Landesarchiv Nordrhein Westfalen – Abteilung OWL

Ergänzende Recherchen
Chris­ti­ne Bier­mann (Stolperstein-Initiative Bielefeld e.V.), Ni­co­le Gen­si­or (Universität Bielefeld), Ma­ri­an­ne Kar­mon, Hei­ke Liebsch, Jan-Wil­lem Wa­ter­böhr (Stadtarchiv Bielefeld)

 

Li­te­ra­tur

  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985.
  • Niemann, Ursula, Liste der um 1933 in Bielefeld ansässig gewesenen Juden und ihre Schicksale sowie ein Überblick über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bielefeld, Bielefeld 1972.

Quel­len

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,001/Ordnungsamt, Nr. 1181: Jüdische Gewerbekartei.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,001/Ordnungsamt, Nr. 1182: Gewerbekartei.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,003/Einwohnermeldeamt, Nr. 18: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,003/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B82,451.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,003/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B 90.
  • Unsere Fahne. Zeitschrift der Westfälischen Hitler-Jugend 12, 6. Jg. (Dezember 1939).

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. März 2022

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